Oldtimer-Fan verwirklicht seinen Lebenstraum Altem Blech neues Leben eingehaucht
Zwei große Scheinwerfer, ein langgezogener Kühlergrill, vier große dünne Reifen. Der rote Lack des historischen Wagens funkelt im Deckenlicht der Werkstatt auf dem Hinterhof von Karl-Heinz Erlebach in Wernigerode. Der Kfz-Meister steht vor seinem "Sperber" Baujahr 1912, greift beherzt an die Kurbel am Motor und beginnt die "Startprozedur". Karl-Heinz kurbelt und kurbelt. Hochkonzentriert. Dabei zieht er am Seilzug für die Spritzufuhr. Blauer Dunst wabert durch die kleine Halle, der Geruch verbrannten Benzins steigt in die Nase. Zärtlich beginnt das Aggregat zu brüllen, sein "Baby" klackert leise vor sich hin. Immer ein Glücksmoment für "Kalle". Bis zur Reaktivierung des kleinen Herzens war es aber ein langer und aufreibender Weg.
Ursprüngliches Fahrzeug komplett zerlegt, originale Teile fast alle verschollen
Denn seinen "Lebenstraum", dem alten "Sperber" wieder Sprit einzuhauchen, verfolgte der 77-Jährige mehr als 40 Jahre. Damals, in den 70er-Jahren, sichtete er das Grundgerüst seines "Babys" in einer Obstscheune – in der Mitte getrennt und die eine Hälfte als Gartentraktor genutzt. Das ursprüngliche Fahrzeug war nahezu komplett zerlegt, die originalen Teile fast alle verschollen. Doch Erlebach fackelte nicht lange: "Wie wäre das, dieses Fahrzeug eines Tages wieder zum Leben zu erwecken?", nimmt "Kalle" rückblickend gern mit auf die gedanklichen Pfade in diesem Moment. Pure Nostalgie. Durch eine Tauschoption – unter anderem gegen einen Ofen – gelang es Erlebach, an das Fahrgestell und den Motor zu kommen. Aber wie sah das Fahrzeug denn nun eigentlich aus, als es das Werk verließ?
Baupläne, Zeichnungen, Skizzen – wie ein Detektiv suchte Karl-Heinz über Jahrzehnte nach brauchbaren Informationen, Teilen und Konstruktionszeichnungen, nach allem Materiellen wie Immateriellen. "Ich konnte mir das Auto im Kopf gedanklich entwickeln und habe keine Sekunde daran gezweifelt, es wieder aufbauen zu können." Auch wenn die Vision immer blieb, zog die Zeit ins Land. „Aber einen Traum soll man nicht verkaufen", sagt der umtriebige Handwerker. Den endgültigen Anstoß zum Wiederaufbau gab letztendlich ein Abend bei Freunden 2017. "Im Gespräch darüber, was man noch so vorhat, wurde mir klar: Mensch, das schaffst du ja alles gar nicht mehr." Ein Schlüsselerlebnis für den Wernigeröder.
Fest entschlossen, seinen Traum zu verwirklichen, setzte er sich an die Planung. Die herausforderndste Aufgabe dabei meisterte er mit Mut, Zuversicht und festem Willen. Nahezu alle Einzelteile mussten per Hand angefertigt werden. Heißt: Brauchen, im Kopf entwickeln, simulieren und letztendlich bauen. Man könnte sagen, autodidaktisch hat sich Erlebach angeeignet, wie man Bleche für die Karosserie wälzt und biegt und Holzteile für die Türen produziert, schleift und verklebt. "Es gibt nur noch wenige, die so etwas aus verschiedenen Materialien händisch herstellen können. Da geht viel an traditionellem Handwerk verloren", sagt Erlebach. Doch nicht nur die Materialien, auch die genutzten Werkzeuge zum Bearbeiten haben sich im Laufe des Jahrhunderts verändert. Unter anderem bis nach Würzburg reiste der verheiratete Familienvater, um sich anzusehen, wie man aus verschiedenen Rohstoffen passgenau Karosserieteile eines Oldtimers produziert.
In die Umsetzung seines Oldtimer-Traums investierte der Macher 2.000 Stunden Zeit und zog sich immer weiter aus seiner beruflichen Tätigkeit als Geschäftsführer seines Autohauses zurück. Während die Geschäfte noch bis 2020 (insgesamt 27 Jahre) weiterliefen, ging der ambitionierte Schrauber jeden Abend mit dem guten Gefühl ins Bett, seinem Traum wieder ein Stück nähergekommen zu sein.
Schaffenskraft durch "Symbiose aus Kopf und Händen"
Nun ist das motorisierte Unikat fertig und sein Besitzer beseelt. Was Karl-Heinz Erlebach zur Verwirklichung seines Traums geholfen hat, ist sein starker Ehrgeiz und sein handwerkliches Geschick. Handwerk hat eben goldenen Boden.
Der gelernte Kraftfahrzeugschlosser baut sprichwörtlich auf die "Symbiose aus Kopf und Händen", wie er selbst seine Schaffenskraft erklärt. Ob Autohaus oder die eigenen vier Wände und alles, was damit zu tun hat, "Kalle" ist ein echter Macher. So ist der "Sperber" in der Garage in sehr guter Gesellschaft. Ob alter Opel oder Chrysler – hier schlummern noch einige weitere alte Lauben jenseits der 70 Jahre. "Das sind die nächsten Projekte", sagt der 77-Jährige mit einem Lächeln. Hin und wieder war Karl-Heinz Erlebach mit seinem Gefährt schon unterwegs. Nun kann das metallische Herz der Norddeutschen Produktionswerke aus Hameln mit der Nr. 1849, seinen 1,3 Litern Hubraum und 15 Pferdestärken endlich auch auf der Straße wieder leise vor sich hin klackern.
Dan Tebel